„… Tausende gehen im September 2022 in verschiedenen Städten in Deutschland unter dem Motto „Der Preis ist heiß“ auf die Straße. Sie protestieren gegen die Inflation – dagegen, dass auch Lebensmittel des täglichen Bedarfs innerhalb von Monaten immer teurer wurden. Die Protestwelle hat in einer kleinen Stadt in Sachsen-Anhalt begonnen und sich dann auf die ganze Republik ausgebreitet. Jobcenter und Arbeitsagenturen werden belagert, die Demonstranten fordern eine spürbare Erhöhung des Arbeitslosengeldes. Auch den DGB-Gewerkschaften werden Besuche abgestattet. Sie werden aufgefordert, die Tarifverträge außerplanmäßig zu kündigen und größere Lohn- und Gehaltserhöhungen einzufordern. Schließlich hat die Inflation die bisherigen moderaten Lohnsteigerungen in vielen Branchen aufgefressen und sogar zu einem Reallohnverlust geführt. Um den Druck zu erhöhen, sind ganze Belegschaften in vielen Betrieben in einen sogenannten wilden Streik getreten, das heißt, sie warten nicht auf die DGB-Gewerkschaften, um gegen die Verschlechterung ihrer Lebensverhältnisse zu kämpfen. Noch ist es ein Zukunftsszenario, aber nicht völlig unrealistisch. Denn die wachsende Inflation hat in großen Teilen der Bevölkerung auch in Deutschland die Unzufriedenheit mit der herrschenden Politik erhöht. (…) Tatsächlich bereiten sich auch in Deutschland jetzt schon rechte Gruppen auf die Proteste der Inflation vor. Diverse rechte Netzwerke malen sich Szenarien von einem gesellschaftlichen Notstand aus, von dem sie dann profitieren wollen.
Doch auch Linke versuchen die künftige Bewegung gegen die Inflation mit eigenen Forderungen zu gestalten. Konkrete Vorschläge gibt auch von der Verbraucherorganisation Foodwatch , die sich mit einer Petition für die komplette Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse einsetzt . Auch die Forderung nach Abschaffung der Mehrwertsteuer auf alle Grundnahrungsmittel wird diskutiert. Zudem gibt es die Kampagne „9 Euro Ticket weiterfahren“ , an der sich sowohl Politiker der Partei Die Linke als auch die Spitze der Grünen Jugend und bekannte Aktivistinnen der Klimabewegung beteiligen. Direkt auf die Arbeiter in der Autobranche zielt das Flugblatt einer linken Betriebsgruppe mit der Parole „Kampf gegen die Inflation – alle auf die Straße gegen die Regierung“. Doch die Fabrikarbeiter haben noch ein weiteres Kampfmittel, den Streik. Schließlich waren die heute schon legendären Septemberstreiks 1969 auch eine Folge der damaligen Inflation. (…) Es gibt erste Ansätze für soziale Proteste auch von außerparlamentarische Linken in Berlin, die unter dem Motto „Der Preis ist heiß“ zu Treffen einladen, in denen sie sich ausdrücklich nicht an die Regierung richten, sondern solidarische Anlaufstellen einrichten wollen, wo sie Menschen unterstützen wollen, die konkret unter den hohen Preisen leiden. (…) Verbunden mit Aktionen von Erwerbslosen gegen hohe Preise für Grundnahrungsmittel und steigende Mieten sowie solidarischen Anlaufstellen könnte hier tatsächlich eine neue soziale Bewegung entstehen.“
Artikel von Peter Nowak vom 31. Juli 2022 in Telepolis