Unmenschlich und gnadenlos

Insgesamt beinhaltet die Publikation die Fälle von 12.654 Menschen, die in Italien, Griechenland, Kroatien, Slowenien und Ungarn entlang der so genannten »Balkanroute« gewaltsames Zurückdrängen erfahren haben – verübt von Polizist*innen, Grenzschutz-Mitarbeiter*innen, Soldat*innen und sogar Wachhunden. Zur Dokumentation gehören Karten, Daten, Fotos und andere Schlüsselinformationen. Manche Fälle könnten zweifelsohne als sadistisch, gnadenlos, entwürdigend und beschämend beschrieben werden, so das BVMN.

15 Organisationen haben zu dem Buch beigetragen. Es ist entstanden in Zusammenarbeit mit der Fraktion der Linken im Europäischen Parlament, um diese Praxis in die Öffentlichkeit zu bringen – damit EU-Institutionen und die Regierungen der Mitgliedsstaaten endlich zur Verantwortung gezogen werden für die unmenschliche und herabwürdigende Behandlung, die Geflüchteten an den Grenzen widerfährt. Symbolisch haben deshalb die beiden Abgeordneten Malin Björk und Miguel Urbán das Buch der EU-Kommissarin für Inneres, Ylva Johansson, in Brüssel präsentiert.

Die deutsche EU-Abgeordnete Cornelia Ernst sagte dazu: »Während meiner Zeit im EU-Parlament habe ich viele Ort in und außerhalb der EU-Grenzen besucht: Lampedusa, Lesvos, Edirne, Bihać, Preševo. Egal, wo wir hinkamen, wir haben Kinder, Frauen und Männer getroffen, die litten. In den letzten Jahren ist die Situation nur noch schlimmer geworden. Wir waren geschockt von den endlosen Berichten über sadistische und gnadenlose Gewalt, die an brutale Diktaturen erinnert. Das Buch bringt ein wenig Licht in dieses dunkle Kapitel der EU.« Sie hofft, dass die Veröffentlichung einen Beitrag leiste, damit diese Verbrechen enden und die verantwortlichen Regierungen zur Verantwortung gezogen werden.

Das BVMN ist ein unabhängiges Netzwerk von NGOs und Initiativen, vor allem aus Regionen des Balkans und Griechenland, die Menschenrechtsverletzungen an den Außengrenzen der EU beobachten und für ein Ende der Gewalt gegen Geflüchtete eintreten. Gegründet wurde das Netzwerk 2016. Es hat ein Meldesystem entwickelt, um Erfahrungsberichte und Beweismaterial zu sammeln, die nach einer Faktenprüfung veröffentlicht werden. Freiwillige und Aktivist*innen von unterschiedlichen Organisationen, wie zum Beispiel »No Name Kitchen« oder »Collective Aid«, führen Einzelgespräche und Interviews mit kleinen Gruppen – und speisen die gesammelten Daten in eine standardisierte Vorlage ein. Sie erscheinen dann auf einer Karte mit allen Informationen zum Ort und den involvierten Personen. Auf Grundlage dessen gibt das BVMN einen monatlichen Report und umfangreiche Statistiken heraus.

Einer der letzten Erfahrungsberichte, der auf der Webseite von BVMN veröffentlicht wurde, handelt von einem Push-Back von sieben Personen, darunter auch Kinder, aus Kroatien nach Bosnien. Zwei Männer aus Algerien berichteten gegenüber »No Name Kitchen«, dass kroatische Polizist*innen sie aufgriffen und sie durchsuchten – dafür mussten sie sich komplett ausziehen. Sie mussten ihre Handys abgeben. Gemeinsam mit einer Familie aus Afghanistan wurden sie an die bosnische Grenze transportiert, wo eine andere Gruppe von Uniformierten die Geflüchteten in Empfang nahm. Alle mussten ihre Habseligkeiten, wie Ruck- und Schlafsäcke, abgeben – die anschließend von Polizist*innen in Brand gesetzt wurden. Danach wurden sie gezwungen, die Grenze zu überqueren und die EU damit wieder zu verlassen.

Das Schwarzbuch und viele weitere Berichte sind (in englischer Sprache) online verfügbar unter: www.borderviolence.eu

Titelbild: Aktivist*innen demonstrierten im April 2020 mit mehreren Mahnwachen in Hamburg gegen die Situation an den EU-Außengrenzen. Foto: Rasande Tyksar / flickr.com
aus Contraste 436 Januar 2021  https://www.contraste.org